Goldblond - verheerende Torheit by be.bra Verlag

Goldblond - verheerende Torheit by be.bra Verlag

Autor:be.bra Verlag
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: be.bra Verlag
veröffentlicht: 2012-01-27T05:00:00+00:00


Der Wirkliche Geheime Legationsrat Wolfgang Göthe ging derweil neben einem Offizier, der sich als Führer angeboten, durch die Stadt. Alles geriet in Bewegung – wie es der Begriff Allgemeine Mobilmachung denn auch nicht anders erwarten ließ. Die Regimenter sammelten sich in Berlin, bevor sie als Teile der Armee des Prinzen Heinrich, die insgesamt rund 69 000 Mann stark sein würde, zu ihren Einsatzorten nach Sachsen abzögen. Bei einer Gruppe, die gerade üble Schläge eines Vorgesetzten kassiert hatte, trat Göthe näher und fragte entrüstet, aber doch mit der Einfalt des landesfremden Touristen, ob das denn nicht eine unbillige Schmach für sie wäre? Man antwortete ihm lachend:

»O, hier in Preußen ist es keine Schande, Prügel zu bekommen. Geprügelt zu werden, das ist hier fast wie eine Auszeichnung.« Sofort wirbelte ein junger Offizier heran und holte seinen Stock hervor, um diesen losen Worten eines einfachen Geprügelten an einen vornehmen Mann die nötige Quittung zu verabreichen. Der Begleit-Offizier des Wirklichen Geheimen Rats, bei dem sich dieser entrüstet über die rüde Behandlung der Männer äußerte, sah ihn ebenfalls etwas herablassend und milde lächelnd an und sagte:

»Sie haben durchaus keine große Ursache, darüber zu klagen, mein Herr, denn das geht nun einmal nicht anders! Da ich nicht weiß, in welchem friedlichen Lande Sie leben, will ich es Ihnen erklären: Diese Lumpen sind die größten Verbrecher, die Sie sich vorstellen können! Schlingel sind’s, Canailles, Racailles, Hunde und Kroppzeug! Wenn wir nicht so strenge mit ihnen wären, würde man Sie glattweg in Ihrem Hotelzimmer ermorden. Ein Drittel unserer Armee besteht aus gepressten Taugenichtsen, die man nur mit der Fuchtel im Zaum halten kann.« Göthe stand sprachlos und musste zusehen, wie der kaum fünfzehnjährige Junker dem über fünfzig Jahre alten Grenadier, der ihm geantwortet, ungezählte Schläge auf Arme und Schenkel verabfolgte. Dem Kerl liefen die Tränen über das Gesicht, aber er durfte nicht wagen, auch nur einen Ton oder, noch schlimmer, ein Wort laut werden zu lassen. So funktionierte also das berühmte preußische Militärwesen. Der Weimarer war auf dem Weg zum einzigen Berliner, den er von früher her persönlich kannte, dem Operettenkomponisten Johann André. Er traf diesen emsigen Mann in einem Berg von Arbeit an, denn er war mit den letzten Korrekturen seiner Schauspielmusik Laura Rosetti beschäftigt, die am nächsten Sonnabend uraufgeführt werden sollte. Dem Besucher war dies keineswegs unliebsam. Nach den schauderhaften Szenen auf der Straße genügte es Göthe, still dazusitzen und dem Bekannten bei seiner im Grunde unsichtbaren Tätigkeit, dem Komponieren, zuzuschauen. Es war noch schrecklich lange hin bis zum Essen. Entgegen seiner sonstigen Verschlossenheit sprach er äußerst leutselig mit einem jungen Mann, der sich als Andrés Kompositionsschüler vorstellte. Deutschland strömte über vor schöngeistigen Jünglingen, die sich in ihrer jeweiligen Kunst für berufen hielten. Dieser Musiker war es vielleicht sogar. Er entstammte der Hofmeisterfamilie von Kamecke.



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